Das Licht der Kerze flackerte schwach, Schatten tanzten im Wechsel mit schillernder Helligkeit
über die runden Steine an den Wänden der Katakomben, als Feilan sich seinen Weg zu Bibliothek
bahnte. Seit er vor Jahren den Kami abschwor war er nicht mehr so gerne hier gesehen wie früher
noch, und so kam es wie mittlerweile bei jedem seiner Besuche hier zu einem langen Diskurs mit
dem Torwächter, ob er diese Hallen betreten dürfe oder nicht. Schon die letzten Male war es ihm
schwer gefallen dem ruppigen Kerl etwas von der Freiheit des Wissens zu erzählen, ihm zu
verdeutlichen, dass das alte Wissen der Zorai eben jedem Zorai offen steht, egal, an welchen Gott er
glauben würde. Auch, wenn es so geschrieben steht in den Gesetzen der Zorai sind die Zeiten
schwer geworden und Misstrauen herrscht aber ebenso Gier. Und so erledigte die Diskussion sich
bald, nachdem der um Einlass Bittende seinen Beutel öffnete und dem Wächter einige glänzende
Erhebungskristalle zeigte. Die Gier in den Augen des Wächters sagte Feilan, was zu tun war und er
überließ ihm eine geringe Zahl der Kristalle. Wie schnell doch alle Überzeugungen sich ins
Gegenteil wenden, wenn nur ein paar Kristalle winken., dachte der glatzköpfige Zorai, Gerade
noch erklärte er mir, mich um nichts in der Welt einzulassen, und nun winkt er mich fröhlich
herbei, und schüttelte den Kopf während er durch das Tor schritt um sich eine der dort immer
ausreichend vorhandenen Kerzen zu nehmen und den Weg durch die langen Gänge anzutreten.
Wie immer war er auf der Suche nach alten Manuskripten. Wirklich alten Manuskripten. Solche,
die aus Zeiten berichten, an die sich nicht einmal die Ältesten erinnern und aus denen fast keine
Geschichten erhalten sind. Getilgt. Als unwichtig und nutzlos verbannt von jenen, die den Kami
folgten als diese auf dem Plan erschienen. Oh, wie bereitwillig Cho sich auf sie einließ, als sie ihn
wundersam heilten und verjüngten. Was für eine Versuchung! Als er machtlos an den Baum gelehnt
lag und ihm niemand helfen konnte, kam Hilfe in Form dieser kleinen Wesen und mehr noch
muss er gespürt haben, dass sie ihre Kraft auf ihn übertrugen, ihm Macht gaben selbst etwas zu
ändern. Absolute Machtlosigkeit zu überwinden muss eines der größten Geschenke sein, die
gemacht werden können. Ohne zu zögern nahm Cho an, sie würden Jenas eigene Geschöpfe sein
und begann sie zu verehren. Erst viel Später sollte sich zeigen, wie falsch er damit lag, als...
Unverantwortlichkeit und Unschuld
Moderator: Geist von Atys
Unverantwortlichkeit und Unschuld
Last edited by feilan on Tue Jan 31, 2006 12:04 pm, edited 1 time in total.
I have a dream
Gedanken
Als Feilan an der schweren Tür ankam, welche die Haupthalle der Bibliothek von den feuchten
Gängen trennte, die zu ihr führen, unterbrach er seine Gedanken und drehte den Knauf. Was ihn
interessierte lag noch weit länger zurück als die Begegnung Cho's mit den Kami. Weiter noch als
die Verehrung Jenas und liegt in den Anfängen der Zorai-Kultur. Schriften über die Ansichten der
großen Gründer dieser Kultur. Schriften über das Wesen der Götter und dem, was über ihnen steht.
Schriften der alten Meister über das Wesen der Existenz. Schriften über die Wege der Zorai, bevor
sie sich bereitwillig in den Glauben an Götter ergaben, die behaupten über allem zu stehen, einzige
Schöpfer und Herrscher des Schicksals zu sein.
Vieles hatte ihm sein Vater erzählt, als sie auf der Strasse des Exodus die lange Reise begingen.
Jene Reise, die ihm die Mutter und den Vater raubte, so wie alle anderen aus seiner Linie. Alle?
Vielleicht nicht, immerhin hatte er Hinweise erhalten. Angeblich haben einige der Be-Yang in
einem fernen Teil Atys' überlebt und behaupten sich dort gegen die Kitin. Einen Teil, der diesem
sehr ähnlich sein soll verschont vom großen Schwarm und mit kaum mehr Kitin bevölkert als
einem schwachen Kundschaftertrupp. Doch damit würde er sich später befassen, wenn der
entscheidende Hinweis kam, der seine Abreise unumgänglich machte. Jetzt verdrängte er auch
diesen Gedanken und stellte die Kerze ab um einen Moment auszuruhen und sich zu sammeln.
Gängen trennte, die zu ihr führen, unterbrach er seine Gedanken und drehte den Knauf. Was ihn
interessierte lag noch weit länger zurück als die Begegnung Cho's mit den Kami. Weiter noch als
die Verehrung Jenas und liegt in den Anfängen der Zorai-Kultur. Schriften über die Ansichten der
großen Gründer dieser Kultur. Schriften über das Wesen der Götter und dem, was über ihnen steht.
Schriften der alten Meister über das Wesen der Existenz. Schriften über die Wege der Zorai, bevor
sie sich bereitwillig in den Glauben an Götter ergaben, die behaupten über allem zu stehen, einzige
Schöpfer und Herrscher des Schicksals zu sein.
Vieles hatte ihm sein Vater erzählt, als sie auf der Strasse des Exodus die lange Reise begingen.
Jene Reise, die ihm die Mutter und den Vater raubte, so wie alle anderen aus seiner Linie. Alle?
Vielleicht nicht, immerhin hatte er Hinweise erhalten. Angeblich haben einige der Be-Yang in
einem fernen Teil Atys' überlebt und behaupten sich dort gegen die Kitin. Einen Teil, der diesem
sehr ähnlich sein soll verschont vom großen Schwarm und mit kaum mehr Kitin bevölkert als
einem schwachen Kundschaftertrupp. Doch damit würde er sich später befassen, wenn der
entscheidende Hinweis kam, der seine Abreise unumgänglich machte. Jetzt verdrängte er auch
diesen Gedanken und stellte die Kerze ab um einen Moment auszuruhen und sich zu sammeln.
I have a dream
Alte Geschichten
Ja, sein Vater hatte ihm viel erzählt, während sie sich gegen die Kitin behaupteten und Seite an
Seite mit Vertretern aller Völker der Hominheit die lange Strasse des Exodus bereisten, Geschichten
der Weisheit und Erleuchtung. Geschichten über die Wege der alten Zorai von Toleranz und
Offenheit gezeichnet. Geschichten über die Veredelung der drei Kräfte und die Unsterblichkeit.
Geschichten, die Feilan so sehr fasziniert haben, dass er ihnen auf den Grund gehen musste. So
detaillierte Geschichten konnten nicht bloß der Fantasie seines Vaters oder dessen Vater
entsprungen sein, da war er sich sicher. So unvollständig die Fragmente auch waren, so glanzvoll
und wahr erschienen sie ihm. Daher machte Feilan sich auf die Suche. Und schließlich fand er
mehr und mehr Schriften, die diese Geschichten bestätigten. Hier, in der großen Bibliothek der
Zorai. So wenig des ursprünglichen Materials dieser Bibliothek den Exodus überlebt hat das war
in den Registern deutlich zu erkennen -, ist doch noch einiges dabei, dass aus den längst
vergessenen Zeiten spricht. Aber auch nach über 40 Jahren, seit diese Bibliothek wieder aufgebaut
wurde mit dem, was gerettet und her geschafft werden konnte, ist sie noch immer nicht vollständig
durchsehen, geordnet und katalogisiert worden. Es herrscht ein heilloses Durcheinander und wenn
man etwas ungewöhnliches sucht sind die Chancen jemanden zu finden, der einem zeigen kann wo
es sich befindet noch geringer. Deshalb muss er selber herunter kommen und suchen.
Und jetzt wurde es Zeit erneut zu suchen, deshalb machte er sich auf. Er nahm die Kerze und ging
in wenig besuchte Gänge der Bibliothek. Schon früher fand er hier Fragmente von Schriften und
selten vollständige Abschriften älterer Schriften, die ihm viel über das Wesen der Existenz lehrten.
Auch heute hoffte er hier schnell fündig zu werden. Während er suchte lockerte sich eine große
Schriftrolle, die einige Fächer über ihm lag und rutschte ganz langsam heraus. Er wälzte Berge von
Manuskripten, wirbelte viel Staub auf und machte sich die Knie schmutzig, doch er fand nichts,
dass er nicht schon kannte. Enttäuscht stapelte er alles wieder in das Fach um sich dem nächsten
zuzuwenden. Als er gerade die letzte Rolle verstaute, viel jene große Rolle aus dem Fach weit über
ihm herab und ihm direkt vor die Füsse. Er betrachtete sie lange und las interessiert, was dort stand.
Seite mit Vertretern aller Völker der Hominheit die lange Strasse des Exodus bereisten, Geschichten
der Weisheit und Erleuchtung. Geschichten über die Wege der alten Zorai von Toleranz und
Offenheit gezeichnet. Geschichten über die Veredelung der drei Kräfte und die Unsterblichkeit.
Geschichten, die Feilan so sehr fasziniert haben, dass er ihnen auf den Grund gehen musste. So
detaillierte Geschichten konnten nicht bloß der Fantasie seines Vaters oder dessen Vater
entsprungen sein, da war er sich sicher. So unvollständig die Fragmente auch waren, so glanzvoll
und wahr erschienen sie ihm. Daher machte Feilan sich auf die Suche. Und schließlich fand er
mehr und mehr Schriften, die diese Geschichten bestätigten. Hier, in der großen Bibliothek der
Zorai. So wenig des ursprünglichen Materials dieser Bibliothek den Exodus überlebt hat das war
in den Registern deutlich zu erkennen -, ist doch noch einiges dabei, dass aus den längst
vergessenen Zeiten spricht. Aber auch nach über 40 Jahren, seit diese Bibliothek wieder aufgebaut
wurde mit dem, was gerettet und her geschafft werden konnte, ist sie noch immer nicht vollständig
durchsehen, geordnet und katalogisiert worden. Es herrscht ein heilloses Durcheinander und wenn
man etwas ungewöhnliches sucht sind die Chancen jemanden zu finden, der einem zeigen kann wo
es sich befindet noch geringer. Deshalb muss er selber herunter kommen und suchen.
Und jetzt wurde es Zeit erneut zu suchen, deshalb machte er sich auf. Er nahm die Kerze und ging
in wenig besuchte Gänge der Bibliothek. Schon früher fand er hier Fragmente von Schriften und
selten vollständige Abschriften älterer Schriften, die ihm viel über das Wesen der Existenz lehrten.
Auch heute hoffte er hier schnell fündig zu werden. Während er suchte lockerte sich eine große
Schriftrolle, die einige Fächer über ihm lag und rutschte ganz langsam heraus. Er wälzte Berge von
Manuskripten, wirbelte viel Staub auf und machte sich die Knie schmutzig, doch er fand nichts,
dass er nicht schon kannte. Enttäuscht stapelte er alles wieder in das Fach um sich dem nächsten
zuzuwenden. Als er gerade die letzte Rolle verstaute, viel jene große Rolle aus dem Fach weit über
ihm herab und ihm direkt vor die Füsse. Er betrachtete sie lange und las interessiert, was dort stand.
I have a dream
der Unerwartete Fund
Es schien, als sei sie vor langer Zeit verfasst von einem der Phylosophen des alten Zorai. Aus
anderen Schriften schon kannte er den Namen des Urhebers Nie-Tzsche. Was er dort las hatte
wenig mit dem von ihm Gesuchten zu tun, und doch sprach eine Wahrheit aus diesen Zeilen, die
jener Weisheit der großen Meister vor der Götterzeit in kaum etwas nachstand.
Nachdem er das Manuskript mehrfach gelesen hat machte er sich daran es zu kopieren. Er wusste
nicht wieso genau, aber er verspürte den großen Wunsch eine Kopie davon in jeder der Hauptstädte
anzuschlagen, auf das jeder interessierte Homin es lesen könne. Sicher war es in seiner Gesamtheit
nichts für einfache Gemüter, doch jene, die es zu deuten wissen würden einen großen Gewinn
daraus ziehen, so hoffte er. Entweder das oder in tiefe Depressionen gestürzt...
Er überlegte lange, ob er das Recht hatte so etwas zu bewirken. Ob er die Kopien nicht doch gleich
verbrennen sollte. Aber er entschied sich dagegen. Dieses Wissen zu vermitteln empfand er als
richtig und wichtig und so verstaute er die alte Rolle wieder im entsprechenden Fach (ob es wirklich
jenes war, aus der sie fiel konnte er nicht wissen, aber es würde bei dieser Unordnung keinen
Unterschied machen), nahm seine Rollen und die Kerze und machte sich wieder auf den Weg durch
die langen Gänge an die Oberfläche.
Tage drauf konnte man in jeder der Hauptstädte ein angeschlagenes Manuskript entdecken.
anderen Schriften schon kannte er den Namen des Urhebers Nie-Tzsche. Was er dort las hatte
wenig mit dem von ihm Gesuchten zu tun, und doch sprach eine Wahrheit aus diesen Zeilen, die
jener Weisheit der großen Meister vor der Götterzeit in kaum etwas nachstand.
Nachdem er das Manuskript mehrfach gelesen hat machte er sich daran es zu kopieren. Er wusste
nicht wieso genau, aber er verspürte den großen Wunsch eine Kopie davon in jeder der Hauptstädte
anzuschlagen, auf das jeder interessierte Homin es lesen könne. Sicher war es in seiner Gesamtheit
nichts für einfache Gemüter, doch jene, die es zu deuten wissen würden einen großen Gewinn
daraus ziehen, so hoffte er. Entweder das oder in tiefe Depressionen gestürzt...
Er überlegte lange, ob er das Recht hatte so etwas zu bewirken. Ob er die Kopien nicht doch gleich
verbrennen sollte. Aber er entschied sich dagegen. Dieses Wissen zu vermitteln empfand er als
richtig und wichtig und so verstaute er die alte Rolle wieder im entsprechenden Fach (ob es wirklich
jenes war, aus der sie fiel konnte er nicht wissen, aber es würde bei dieser Unordnung keinen
Unterschied machen), nahm seine Rollen und die Kerze und machte sich wieder auf den Weg durch
die langen Gänge an die Oberfläche.
Tage drauf konnte man in jeder der Hauptstädte ein angeschlagenes Manuskript entdecken.
I have a dream
Der Aushang
Unverantwortlichkeit und Unschuld.
Die völlige Unverantwortlichkeit des Homin für sein Handeln und sein Wesen ist der bitterste
Tropfen, welchen der Erkennende schlucken muss, wenn er gewohnt war, in der Verantwortlichkeit
und der Pflicht den Adelsbrief seines Homintums zu sehen. Alle seine Schätzungen,
Auszeichnungen, Abneigungen sind dadurch entwertet und falsch geworden: sein tiefstes Gefühl,
das er dem Dulder, dem Helden entgegenbrachte, hat einem Irrtume gegolten; er darf nicht mehr
loben, nicht tadeln, denn es ist ungereimt, die Natur und die Notwendigkeit zu loben und zu tadeln.
So wie er das gute Kunstwerk liebt, aber nicht lobt, weil es Nichts für sich selber kann, wie er vor
der Pflanze steht, so muss er vor den Handlungen der Homin, vor seinen eignen stehen. Er kann
Kraft, Schönheit, Fülle an ihnen bewundern, aber darf keine Verdienste darin finden: der chemische
Prozess und der Streit der Elemente, die Qual des Kranken, der nach Genesung lechzt, sind
ebensowenig Verdienste, als jene Seelenkämpfe und Notzustände, bei denen man durch
verschiedene Motive hin- und hergerissen wird, bis man sich endlich für das mächtigste entscheidet
wie man sagt (in Wahrheit aber, bis das mächtigste Motiv über uns entscheidet). Alle diese
Motive aber, so hohe Namen wir ihnen geben, sind aus den selben Wurzeln gewachsen, in denen
wir die bösen Gifte wohnend glauben; zwischen guten und bösen Handlungen gibt es keinen
Unterschied der Gattung, sondern höchstens des Grades. Gute Handlungen sind sublimierte böse;
böse Handlungen sind vergröberte, verdummte gute. Das einzige Verlangen des Individuums nach
Selbstgenuss (samt der Furcht, desselben verlustig zu gehen) befriedigt sich unter allen Umständen,
der Homin mag handeln, wie er kann, das heißt wie er muss: sei es in Taten der Eitelkeit, Rache,
Lust, Nützlichkeit, Bosheit, List, sei es in Taten der Aufopferung, des Mitleids, der Erkenntnis. Die
Grade der Urteilsfähigkeit entscheiden, wohin Jemand sich durch dies Verlangen hinziehen lässt;
fortwährend ist jeder Gesellschaft, jedem Einzelnen eine Rangordnung der Güter gegenwärtig,
wonach er seine Handlungen bestimmt und die der Anderen beurteilt. Aber dieser Maßstab wandelt
sich fortwährend, viele Handlungen werden böse genannt und sind nur dumm, weil der Grad der
Intelligenz, welcher sich für sie entschied, sehr niedrig war. Ja, in einem bestimmten Sinne sind
auch jetzt noch alle Handlungen dumm, denn der höchste Grad von hominscher Intelligenz, der
jetzt erreicht werden kann, wird sicherlich noch überboten werden: und dann wird, bei einem
Rückblick, all unser Handeln und Urteilen so beschränkt und übereilt erscheinen, wie uns jetzt das
Handeln und Urteilen zurückgebliebener wilder Völkerschaften beschränkt und übereilt vorkommt.
Dies Alles einzusehen, kann tiefe Schmerzen machen, aber darnach gibt es einen Trost: solche
Schmerzen sind Geburtswehen. Der Schmetterling will seine Hülle durchbrechen, er zerrt an ihr, er
zerreißt sie: da blendet und verwirrt ihn das unbekannte Licht, das Reich der Freiheit. In solchen
Homin, welche jener Traurigkeit fähig sind wie wenige werden es sein! wird der erste
Versuch gemacht, ob die Hominheit aus einer moralischen sich in eine weise Hominheit
umwandeln könne. Die Sonne einer neuen Offenbarung wirft ihren ersten Strahl auf die höchsten
Gipfel in der Seele jener Einzelnen: da ballen sich die Nebel dichter, als je, und neben einander
lagert der hellste Schein und die trübste Dämmerung. Alles ist Notwendigkeit, so sagt die neue
Erkenntnis: und diese Erkenntnis selber ist Notwendigkeit. Alles ist Unschuld: und die Erkenntnis
ist der Weg zur Einsicht in diese Unschuld. Sind Lust, Egoismus, Eitelkeit notwendig zur
Erzeugung der moralischen Phänomene und ihrer höchsten Blüte, des Sinnes für Wahrheit und
Gerechtigkeit der Erkenntnis, war der Irrtum und die Verirrung der Phantasie das einzige Mittel,
durch welches die Homineit sich allmählich zu diesem Grade von Selbsterleuchtung und
Selbsterlösung zu erheben vermochte wer dürfte jene Mittel geringschätzen? Wer dürfte traurig
sein, wenn er das Ziel, zu dem jene Wege führen, gewahr wird? Alles auf dem Gebiete der Moral ist
geworden, wandelbar, schwankend, Alles ist im Flusse, es ist wahr: aber Alles ist auch im Strome:
nach Einem Ziele hin. Mag in uns die vererbte Gewohnheit des irrtümlichen Schätzens, Liebens,
Hassens immerhin fortwalten, aber unter dem Einfluss der wachsenden Erkenntnis wird sie
schwächer werden: eine neue Gewohnheit, die des Begreifens, Nicht-Liebens, Nicht-Hassens,
Überschauens, pflanzt sich allmählich in uns auf dem selben Boden an und wird in Tausenden von
Jahren vielleicht mächtig genug sein, um der Hominheit die Kraft zu geben, den weisen,
unschuldigen (unschuld-bewussten) Homin ebenso regelmäßig hervorzubringen, wie sie jetzt den
unweisen, unbilligen, schuldbewussten Homin das heißt die notwendige Vorstufe, nicht den
Gegensatz von jenem hervorbringt.
Die völlige Unverantwortlichkeit des Homin für sein Handeln und sein Wesen ist der bitterste
Tropfen, welchen der Erkennende schlucken muss, wenn er gewohnt war, in der Verantwortlichkeit
und der Pflicht den Adelsbrief seines Homintums zu sehen. Alle seine Schätzungen,
Auszeichnungen, Abneigungen sind dadurch entwertet und falsch geworden: sein tiefstes Gefühl,
das er dem Dulder, dem Helden entgegenbrachte, hat einem Irrtume gegolten; er darf nicht mehr
loben, nicht tadeln, denn es ist ungereimt, die Natur und die Notwendigkeit zu loben und zu tadeln.
So wie er das gute Kunstwerk liebt, aber nicht lobt, weil es Nichts für sich selber kann, wie er vor
der Pflanze steht, so muss er vor den Handlungen der Homin, vor seinen eignen stehen. Er kann
Kraft, Schönheit, Fülle an ihnen bewundern, aber darf keine Verdienste darin finden: der chemische
Prozess und der Streit der Elemente, die Qual des Kranken, der nach Genesung lechzt, sind
ebensowenig Verdienste, als jene Seelenkämpfe und Notzustände, bei denen man durch
verschiedene Motive hin- und hergerissen wird, bis man sich endlich für das mächtigste entscheidet
wie man sagt (in Wahrheit aber, bis das mächtigste Motiv über uns entscheidet). Alle diese
Motive aber, so hohe Namen wir ihnen geben, sind aus den selben Wurzeln gewachsen, in denen
wir die bösen Gifte wohnend glauben; zwischen guten und bösen Handlungen gibt es keinen
Unterschied der Gattung, sondern höchstens des Grades. Gute Handlungen sind sublimierte böse;
böse Handlungen sind vergröberte, verdummte gute. Das einzige Verlangen des Individuums nach
Selbstgenuss (samt der Furcht, desselben verlustig zu gehen) befriedigt sich unter allen Umständen,
der Homin mag handeln, wie er kann, das heißt wie er muss: sei es in Taten der Eitelkeit, Rache,
Lust, Nützlichkeit, Bosheit, List, sei es in Taten der Aufopferung, des Mitleids, der Erkenntnis. Die
Grade der Urteilsfähigkeit entscheiden, wohin Jemand sich durch dies Verlangen hinziehen lässt;
fortwährend ist jeder Gesellschaft, jedem Einzelnen eine Rangordnung der Güter gegenwärtig,
wonach er seine Handlungen bestimmt und die der Anderen beurteilt. Aber dieser Maßstab wandelt
sich fortwährend, viele Handlungen werden böse genannt und sind nur dumm, weil der Grad der
Intelligenz, welcher sich für sie entschied, sehr niedrig war. Ja, in einem bestimmten Sinne sind
auch jetzt noch alle Handlungen dumm, denn der höchste Grad von hominscher Intelligenz, der
jetzt erreicht werden kann, wird sicherlich noch überboten werden: und dann wird, bei einem
Rückblick, all unser Handeln und Urteilen so beschränkt und übereilt erscheinen, wie uns jetzt das
Handeln und Urteilen zurückgebliebener wilder Völkerschaften beschränkt und übereilt vorkommt.
Dies Alles einzusehen, kann tiefe Schmerzen machen, aber darnach gibt es einen Trost: solche
Schmerzen sind Geburtswehen. Der Schmetterling will seine Hülle durchbrechen, er zerrt an ihr, er
zerreißt sie: da blendet und verwirrt ihn das unbekannte Licht, das Reich der Freiheit. In solchen
Homin, welche jener Traurigkeit fähig sind wie wenige werden es sein! wird der erste
Versuch gemacht, ob die Hominheit aus einer moralischen sich in eine weise Hominheit
umwandeln könne. Die Sonne einer neuen Offenbarung wirft ihren ersten Strahl auf die höchsten
Gipfel in der Seele jener Einzelnen: da ballen sich die Nebel dichter, als je, und neben einander
lagert der hellste Schein und die trübste Dämmerung. Alles ist Notwendigkeit, so sagt die neue
Erkenntnis: und diese Erkenntnis selber ist Notwendigkeit. Alles ist Unschuld: und die Erkenntnis
ist der Weg zur Einsicht in diese Unschuld. Sind Lust, Egoismus, Eitelkeit notwendig zur
Erzeugung der moralischen Phänomene und ihrer höchsten Blüte, des Sinnes für Wahrheit und
Gerechtigkeit der Erkenntnis, war der Irrtum und die Verirrung der Phantasie das einzige Mittel,
durch welches die Homineit sich allmählich zu diesem Grade von Selbsterleuchtung und
Selbsterlösung zu erheben vermochte wer dürfte jene Mittel geringschätzen? Wer dürfte traurig
sein, wenn er das Ziel, zu dem jene Wege führen, gewahr wird? Alles auf dem Gebiete der Moral ist
geworden, wandelbar, schwankend, Alles ist im Flusse, es ist wahr: aber Alles ist auch im Strome:
nach Einem Ziele hin. Mag in uns die vererbte Gewohnheit des irrtümlichen Schätzens, Liebens,
Hassens immerhin fortwalten, aber unter dem Einfluss der wachsenden Erkenntnis wird sie
schwächer werden: eine neue Gewohnheit, die des Begreifens, Nicht-Liebens, Nicht-Hassens,
Überschauens, pflanzt sich allmählich in uns auf dem selben Boden an und wird in Tausenden von
Jahren vielleicht mächtig genug sein, um der Hominheit die Kraft zu geben, den weisen,
unschuldigen (unschuld-bewussten) Homin ebenso regelmäßig hervorzubringen, wie sie jetzt den
unweisen, unbilligen, schuldbewussten Homin das heißt die notwendige Vorstufe, nicht den
Gegensatz von jenem hervorbringt.
I have a dream